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Die Geschichte von Robert Taylor und der Hodson Crew

Am Abend des 27. September 1943 starten mehrere Hundert Flugzeuge vom ostenglischen Militärflughafen Lakenheath in Richtung Deutschland mit dem Ziel, Hannover zu bombardieren. Es ist bereits der dritte große Bombenangriff auf das Stadtgebiet innerhalb von zwei Monaten. Unter den Fliegern ist auch die achtköpfige Besatzung der Stirling EF118 mit dem 21-jährigen Piloten Maurice Hodson.

Eine RAF Aircrew Short Stirling 1943

Außer Hodson sind an Bord: Der Flugingenieur Jack Taylor (19), Navigator Brian Higginson (22), Bomb Aimer Robert Taylor (21), Wireless Operator Dugald Wood (23), Mid Upper Air Gunner John Quar (21), Rear Air Gunner Bill Boyden (33) und der am Abend zur Crew abkommandierte 2. Pilot Leonard Clay (26).

Es ist nicht die erste gemeinsame Mission dieser Crew. Sie haben in wenigen Monaten bereits ein Dutzend Feindflüge miteinander überlebt, und so ist zwischen diesen Soldaten, die aus unterschiedlichen Regionen Englands, aus Schottland und aus Neuseeland stammen, eine tiefe Freundschaft entstanden, wie sie vielleicht nur aus gemeinsam überstandener Lebensgefahr wachsen kann.

Der 21-jährige Robert Taylor ist ein Bankangestellter aus einem kleinen Ort bei Hull, nahe der englischen Ostküste. Er hat sich vor zweieinhalb Jahren freiwillig für die Royal Air Force gemeldet. Er ist der „Bomb-Aimer“ der Crew, das heißt, er liegt während des Einsatzes ganz vorn in der Spitze der riesigen, viermotorigen Stirling-Maschine, um zu navigieren und beim Erreichen des Zieles die Bombenschächte zu öffnen.

Als die Flugzeuge um kurz nach 23 Uhr Hannover erreichen und die Bombardierung beginnt, wird die EF118 plötzlich von Flak-Scheinwerfern erfasst und in gleißendes Licht getaucht. Der Pilot Maurice Hodson versucht vergeblich mit waghalsigen Manövern, den Suchscheinwerfern und dann den bald auftauchenden deutschen Jagdflugzeugen zu entkommen.

In fünf Kilometern Höhe wird die Stirling schwer getroffen, beschreibt brennend eine weite Abwärtskurve und gerät schließlich außer Kontrolle, dann detoniert in einer gewaltigen Explosion einer der in den Tragflächen befindlichen Treibstofftanks. Maurice Hodson kommt vermutlich bei der Explosion ums Leben, die anderen Crewmitglieder versuchen in diesen letzten Augenblicken verzweifelt, noch aus dem Flugzeug zu entkommen.

Aber nur Robert Taylor gelingt etwa drei Sekunden vor dem Aufschlag der rettende Sprung aus dem brennenden Bomber.

Seine Freunde stürzen mit ihrem Flugzeug auf ein Feld und kommen um. Sie sterben in dieser Nacht nur wenige hundert Meter vom Gefallenendenkmal entfernt, auf einem Kartoffelacker hinter den Vier Akazien.

Die sieben Leichname werden am nächsten Tag auf dem Ramlinger Friedhof beerdigt. Die Birkenkreuze, die ihre Gräber kennzeichnen, stehen an der Nordostecke, nur dreißig Meter vom Denkmal entfernt. Dieses Denkmal erinnert damals, 1943, an die aus dem Ort stammenden Gefallenen des Ersten Weltkriegs – und wird ein Jahrzehnt später erweitert werden, um auch der Toten des Zweiten Weltkriegs zu gedenken.

Das Schicksal dieses Krieges hat die Soldaten, deren Namen seit 1955 auf den Tafeln rechts und links des Denkmals stehen, aus Ramlingen in die Fremde geführt, wo sie ums Leben kamen: In Frankreich, in der Ukraine, in Russland; oft ist nicht einmal bekannt, wann und wo sie starben. Und so spiegelt sich das Schicksal der Soldaten aus Ramlingen gewissermaßen im Tod der britischen Flieger, denn auch sie verließen ihr Zuhause, um in der Fremde zu kämpfen, und kamen in dieser Fremde ums Leben. Aber in ihrem Fall ist diese Fremde das Dorf Ramlingen. Und so werden die Bewohner von in dieser Nacht im Herbst 1943 ganz unvermittelt mit dem Tod und den Schrecken des Krieges konfrontiert.

Robert Taylor überlebt den Absturz also als einziger. Er ist verletzt, und wird noch nachts von einer Ambulanz in ein Krankenhaus gebracht. Als Kriegsgefangener erst in einem Stalag in Polen und später bei Walsrode übersteht er den Krieg und kehrt im Sommer 1945 schließlich zurück nach England. Er nimmt seine Arbeit bei der Bank wieder auf, gründet eine Familie und stirbt erst ein halbes Jahrhundert später im Alter von 71 Jahren.

Kurz nach seiner Rückkehr in die Heimat schreibt er den Eltern und Familien seiner gefallenen Kameraden und berichtet von ihrem Schicksal. Er schickt ihnen auch eine Trauerkarte mit einem selbstverfassten Gedicht, in Erinnerung an seine Freunde:

Über die gähnende Kluft der Jahre
Lass ich sie weit zurück
Doch durch der Freundschaft starkes Band
Verblasst ihr Angedenken nie.

Wenn auch kein Kreuz die Gräber zeichnet,
Noch Blumen ihr Ende zieren,
Starb doch ein kleiner Teil von mir,
Sind meine Freunde nicht allein.

Weder er noch die Familien der toten Soldaten wissen bislang, wo diese begraben sind, oder ob sie überhaupt bestattet wurden. Diese Sorge drückt sich auch in Roberts Gedicht aus wenn er dort schreibt, dass womöglich kein Kreuz die Grabstätten markiert, und keine Blumen auf ihren Gräbern wachsen.

Erst mehr als ein Jahr später kommt die Nachricht, wo genau sich die Grabstätten der sieben Männer befinden. John Wood, der Bruder eines Crewmitglieds, reist im Herbst 1946 nach Ramlingen, um das Grab seines Bruders Dugald und die seiner Kameraden zu finden. Eine Frau im Dorf spricht etwas Englisch und führt ihn schließlich zum Friedhof.

John macht eine Fotografie, um sie seinen Eltern zu schicken. Erleichtert stellt er fest, dass Kreuze an den Gräbern stehen – und er ist auch ein wenig verwundert, denn es sind ganz frische Blumen gepflanzt.

Eine Frau aus Ehlershausen kümmert sich anscheinend um die Grabstätten, sie hält sie in Ordnung und pflanzt regelmäßig neue Blumen. Dugalds Bruder forscht weiter nach – und schließlich erfährt er auch den Grund dafür: Die Frau gehört zu der Familie, in deren Nachbarschaft in der Nacht des 27. September 1943 ein britischer Flieger mit dem Fallschirm im Baum landete und schließlich zu Boden stürzte.

Denn Robert Taylor wurde in dieser Nacht nicht erschlagen, wie es allzu oft in vielen vergleichbaren Fällen geschah. Er wurde nicht sofort den örtlichen Behörden gemeldet und solange festgehalten. Sondern er wurde von dieser Frau und ihrem Bruder mit in ihr Haus genommen und versorgt, in einer Nacht, in der Bomben auf Hannover fielen, die beherrscht war von Krieg, Gewalt und Tod.

Ein starkes Zeichen dafür, dass Mut und Menschlichkeit selbst in einer solchen Situation möglich sind.

(Text: Sven Voigt)